Differenzierung ist Trumpf
Computerwoche, 10. Mai 2002
Kosten sparen und Kunden binden mit E-Commerce-Systemen. Wer zu Zeiten des Internet-Hypes abwartend außen vor blieb, hat kein Geld verbrannt. Wer jetzt aufgrund der Katerstimmung zögert, wird keines verdienen. Trotz vieler enttäuschter Hoffungen gibt es Unternehmen, die durch E-Commerce-Systeme ihre Kosten gesenkt haben und gleichzeitig ihre Kunden stärker an sich binden.
Der Bedarf an professionellen E-Commerce-Lösungen ist ungebrochen. Nicht nur bei Großunternehmen, sondern gerade auch bei mittelständischen Firmen, die zunehmend erkennen, wie sie das Potenzial des Internet mit maßgeschneiderten Web-Anwendungen für ihre Zwecke nutzen können: Prozesse automatisieren, Kundenbeziehungen intensivieren, eigene Stärken herausstellen und sich so von den Wettbewerbern differenzieren. Nach den bisherigen Erfahrungen hängt der Erfolg einer E-Commerce-Strategie im Wesentlichen von drei Faktoren ab. Der Web-Auftritt setzt auf die gleichen Attribute, mit denen ein Unternehmen auch in der realen Welt assoziiert werden möchte. Immer öfter steuern Kunden, die sich für eine Marke entschieden haben, anschließend gezielt deren Site im Internet an. Das deckt sich mit den Zahlen, welche Trendforscher von StatMarket (USA) unlängst veröffentlicht haben: Erstmals fordern weltweit mehr User (52 Prozent) Web-Seiten direkt über die Eingabe der Adresse oder einen Eintrag in den Bookmarks an, anstatt über Suchmaschinen oder Querverweise zu navigieren. In Deutschland ist dieser Untersuchung zufolge ihr Anteil sogar von 63 auf 71 Prozent gestiegen. Das untermauert die Einsicht: Es ist im Internet nicht nur möglich, sondern unabdingbar, (s)eine Marke zu etablieren. Kundenbindung funktioniert auch online: Wer einmal zufrieden war, weil etwa die Auswahl stimmte, die Bestellung einfach verlief und die Lieferung prompt eintraf, der wird sein Glück nicht gleich bei einem anderen Anbieter versuchen. Für den Betreiber der Website heißt dies: Die Veränderungen der Marke, etwa durch eine überarbeitete Corporate Identity oder Innovationen in der Leistungspalette seines Unternehmens, werden sich zeitgleich mit der Offline-Welt auch im Internet-Auftritt niederschlagen müssen. Dynamische Märkte fordern flexible Lösungsansätze, weshalb Flexibilität und Erweiterbarkeit bei jeder E-Business-Lösung an erster Stelle stehen müssen. Dies legt es insbesondere nahe, die Software modular aufzubauen sowie grafisches Design, Seiten-Layout und Business-Logik strikt zu trennen.
Jeder Kunde ein anderer König
Der Trend zur Personalisierung gewinnt gerade im Internet immer mehr an Bedeutung. Den (bekannten) Kunden mit Namen anzusprechen, sowie seine Adress- und Rechnungsdaten vorzuhalten gehören dabei längst zur Minimalanforderung. Intelligente Lösungen gehen weiter und sind auf die besonderen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten. Sie stimmen sämtliche Inhalte der Internet-Seiten auf den einzelnen Kunden, dessen Branche, dessen Kaufverhalten oder gar die Tageszeit ab, zu der er die Seiten besucht. Die technische Konsequenz daraus: Dasselbe System, das redaktionelle Beiträge verwaltet, muss auch die Kundendaten bereitstellen, damit konfigurierte oder erlernte Personalisierungskriterien als Bindeglied zwischen Kunden und redaktionellem Inhalt fungieren können. Auf dieser Basis entscheidet ein Redaktionssystem bei Aufbau der WebSeiten automatisch, welche Beiträge es dem Kunden anbieten wird. Nicht zuletzt dieser Umstand spricht für eine integrierte Gesamtlösung, in der alle E-BusinessModule miteinander kommunizieren. Denn die Erfahrung zeigt, dass ein Konglomerat von Einzellösungen verschiedener Hersteller einen überproportionalen Integrations- und Pflegeaufwand nach sich ziehen kann - selbst wenn jede Anwendung in ihrer eigenen Sparte die führende Lösung ("Best-ofBreed") ist: Die Integration findet in der Regel nur auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners statt. Schlimmer noch: Im Zusammenhang mit Standardsoftware müssen bei Best-of-Breed-Ansätzen individuelle Bedürfnisse häufig unberücksichtigt bleiben.
Bestellhistorie verfügbar
Eine Firma, die Personalisierung umsetzt, ist die Ratioform Verpackungsmittel GmbH (www.ratioform.de), ein Versandhändler für Verpackungslösungen. Viele Kunden des europaweit agierenden Unternehmens geben immer wieder gleiche oder ähnliche Bestellungen auf - durchaus üblich bei Abnehmern der "C-Produkte", zu denen auch Briefumschläge, Kartons oder Paketbandrollen gehören. Nach Erfahrung von Marketingleiter Rolf Schmidt bitten sechs von zehn Kunden, die ihre Aufträge per Telefon erteilen, ihre Ratioform-Kundenbetreuer, zu diesem Zweck in alten Bestellungen nachzusehen. Dieser Erkenntnis folgend gibt es auf der kürzlich relaunchten Website eine Historie aller bisherigen Bestellungen des Kunden, von denen jede Einzelne unverändert oder mit neuen Bestellmengen per Klick neu aufgeben werden kann. Darüber hinaus zeigt eine auf der persönlichen Homepage platzierte Chartliste dem registrierten Kunden an, welche Produkte von ihm in der Vergangenheit am häufigsten geordert wurden. Dadurch minimiert sich der Bestellaufwand für besonders oft nachgefragte Artikel. Einen anderen Weg, sich an den unterschiedlichen Wünschen der Kunden auszurichten, geht die Schweitzer Buchhandelsgruppe (www.schweitzer-online.de). Das Unternehmen hilft seinen Großkunden dabei, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, indem sie ihre eigenen Bestellprozesse im Online-Shop von Schweitzer abbilden. So lassen sich beispielsweise hierarchisch angeordnete Benutzergruppen einrichten, um diesen dann gesonderte Rechte wie etwa die Möglichkeit zur dezentralen Auftragsfreigabe zuzuweisen. Einzelne Kundenmitarbeiter erhalten hierbei besondere Rollen im spezifisch konfigurierten Bestellprozess, wie etwa "Mitarbeiterverwalter", "(Sammel-) Warenkorbverwalter" oder "Supervisor". Die Nachbildung der komplexen Organisationsstrukturen von Großkunden im Online-Shop ist ein Zusatzservice und soll Kunden zu Stammkunden machen. Wer im Web allein über den Preis verkauft, hat in der Regel schon verloren. Er macht sich abhängig von den unsteten Kunden, die auf der Suche nach dem billigsten Angebot ständig den Anbieter wechseln. Für die Mehrheit der Käufer ist der Preis aber gar nicht das ausschlaggebende Kriterium. Sicherheit von Daten und Zahlungsvorgängen, Zuverlässigkeit und Bedienerfreundlichkeit sowie die Ansprache über personalisierte und aktuelle Inhalte schätzen Internet Nutzer so sehr, dass sie dafür gegebenenfalls auch ein wenig mehr ausgeben. Aus diesem Grund geht der Trend weg von preisvergleichenden Portalen hin zu individuellen E-Business-Lösungen, die sowohl die Marke als auch das Leistungsspektrum des Betreibers ins rechte Licht rücken. Auf der Ratioform-Website muss der Kunde beispielsweise nur angeben, was er verpacken möchte - dazu reichen schon die Abmessungen des jeweiligen Gegenstands. Daraufhin schlägt ein Online-Ratgeber mögliche Komplettverpackungen, Umverpackungen oder Füllmaterialien vor. Dem Kunden steht damit die gesamte Bandbreite des Ratioform Produktportfolios zur Verfügung, ohne dass er sich zuvor mit dessen Nomenklatur oder Struktur vertraut machen musste. Als Vehikel zum Umsetzen ihrer E-Commerce-Strategien setzen Unternehmen immer häufiger auf integrierte Lösungen, die modular, etwa aus Shop-, Katalog- und Redaktionssystem-Komponenten, aufgebaut werden. Weil alle Module nahtlos ineinander greifen, ist sichergestellt, dass in den Prozessen wenig Reibungsverluste auftreten und die Komplexität der Anwendungen beherrschbar bleibt. Unverwechselbarkeit lässt sich mit einer Lösung von der Stange oft nur schwer erreichen. Aber das heißt nicht, dass ein individuelles E-Business-System teurer sein muss als Standardlösungen des oberen Preissegments, bei denen nicht selten sieben Stellen auf dem Preisschild stehen. In vielen Fällen reicht aber bereits ein niedriges oder mittleres sechsstelliges Budget aus, um eine leistungsfähige und maßgeschneiderte E-Commerce-Anwendung aufzubauen. Damit gelingt es dann auch online, einem Unternehmen Konturen zu verleihen und engere Beziehungen zu seinen Kunden zu knüpfen.